In Deutschland herrscht in der Pflegebranche seit einigen Jahren ein nicht zu übersehender Fachkräftemangel, welcher in den nächsten zehn bis zwölf Jahren noch weiter steigen wird: Ca. 500.000 Pflegefachkräfte gehen demnächst in Rente. Zudem wird der Zeitraum, indem eine freie Stelle besetzt wird, immer größer. Aktuell dauert es 230 Tage bis eine Stelle zur Krankenpflegefachkraft und 210 Tage zur Altenpflegefachkraft, besetzt wird.

„Es muss uns zeitnah gelingen, Pflegekräfte zu gewinnen. Das ist eine der größten sozialpolitischen Herausforderungen dieser Zeit“

Elke Heyduck, Geschäftsführerin der Arbeitnehmerkammer Bremen
Bundesweite Studie „Ich pflege wieder, wenn...

Bundesweite Studie „Ich pflege wieder, wenn…“ | Quelle: Arbeitnehmerkammer Bremen

Studie „Ich pflege wieder, wenn…“

 Im Herbst 2021 nahmen 12.684 in Teilzeit beschäftigte Pflegekräfte (75 %) sowie Pflegeberuf-Aussteiger (25 %) an der Online-Befragung für die neue Studie „Ich pflege wieder, wenn…“ – Potenzialanalyse zur Berufsrückkehr und Arbeitszeitaufstockung von Pflegefachkräften teil.

Hiervon waren 82 % („ausgestiegene“ Pflegekräfte) bzw. 87 % (Teilzeitpflegekräfte) Frauen. Zwei Drittel der Befragten arbeiten aktuell in der Krankenpflege, der Rest ist in der Langzeitpflege tätig.

Aufbau der Studie

Die Studie baut auf einem Bremer Pilotprojekt auf, welches 2020 rund 1.000 Pflegekräfte zu dem Thema Berufsrückkehr und Arbeitszeitaufstockung in der Pflege befragt hatte. Sie wurde in Kooperation mit der Arbeitnehmerkammer Bremen, der Arbeitskammer des Saarlandes und dem Institut Arbeit und Technik (IAT) durchgeführt, von einem wissenschaftlichen Team begleitet sowie von der Hans-Böckler-Stiftung gefördert.

Auf Basis einer bundesweiten Befragung erstellt die Analyse mehrere Modellrechnungen wodurch das Potenzial für alle aufstockungswilligen Teilzeit-Pflegefachkräfte sowie für Beschäftigte in der Pflege, welche ihren Pflegejob gekündigt haben und sich nun eine Rückkehr vorstellen können, errechnet wird.

Dabei kam raus, dass potenziell mindestens 300.000, wenn nicht sogar 660.000, Pflegekräfte in Vollzeit zusätzlich zur Verfügung stünden. Hiervon sind mehr als 80 % Pflegeberuf-Aussteiger, welche eine Berufsrückkehr in Betracht ziehen und die Hälfte der Teilzeitbeschäftigten, die sich ein Aufstocken der Stunden vorstellen können.

Die Hauptfrage der Studie war, unter welchen Bedingungen bereits ausgebildete, aber „ausgestiegene“ Pflegekräfte in ihren Beruf zurückkehren bzw. Teilzeit-Pflegekräfte ihre Arbeitszeit erhöhen würden.

Die Bedingungen der Pflegekräfte für eine Berufsrückkehr bzw. Erhöhung der Arbeitszeit

  • Mehr Personal

  • Keine Unterbesetzung

  • Angemessene Bezahlung

  • Verlässliche Arbeitszeiten

  • Verbindliche Dienstpläne

  • Mehr Zeit für menschliche Zuwendung und hochwertige Pflege

  • Respektvolle, wertschätzende Vorgesetzte

  • Kollegialer Umgang mit allen Berufsgruppen

  • Augenhöhe gegenüber den Ärzt:innen

  • Vereinfachte, digitale Dokumentation

  • Bessere Vergütung von Fort- und Weiterbildungen

Ranking der wichtigsten Arbeitsbedingungen für Wiedereinstieg und Stundenerhöhung | Quelle: Studie „Ich pflege wieder, wenn …“

Ranking der wichtigsten Arbeitsbedingungen für Wiedereinstieg und Stundenerhöhung | Quelle: Studie „Ich pflege wieder, wenn …“

Arbeitszeitwünsche

Zu den Arbeitszeiten äußerten sich die beiden befragten Gruppen so, dass Teilzeitkräfte (knapp 50 %) ihre Arbeitszeit um 10 Stunden pro Woche aufstocken und „ausgestiegene“ Pflegekräfte (60 %) zu einem Pflegeberuf mit 30 Stunden pro Woche zurückkehren würden.

„Die Pflegebeschäftigten wissen sehr genau, was sich ändern muss, damit sie ihren verantwortungsvollen Beruf so ausüben können, wie es ihren fachlichen Vorstellungen und ihrer Ausbildung entspricht.“

Elke Heyduck, Geschäftsführerin der Arbeitnehmerkammer Bremen

Zudem wurde ermittelt, wie aktiv die Berufsaussteiger nach neuen Jobs in der Pflege suchen und welche Arbeitsbereiche diese präferieren: Ausgestiegene möchten überwiegend wieder in ihren ehemaligen Arbeitsbereich einsteigen – dies gilt vor allem für Krankenhaus und Psychiatrie.

Letzte und angestrebte Wiedereinstiegsbereiche ausgestiegener Pflegekräfte | Quelle: Studie „Ich pflege wieder, wenn …“

Letzte und angestrebte Wiedereinstiegsbereiche ausgestiegener Pflegekräfte | Quelle: Studie „Ich pflege wieder, wenn …“

„Bereits ein Drittel der potenziellen Rückkehrerinnen und Rückkehrer haben Stellenangebote angesehen, knapp sechs Prozent stehen im Kontakt mit einem Arbeitgeber. Die übrigen denken mindestens einmal im Monat darüber nach, in den Beruf zurückzukehren, sind bislang aber noch nicht aktiv geworden“ (…) „Auffällig ist, dass ehemalige Beschäftigte aus den ambulanten Pflege- und Betreuungsdiensten ihren eigenen Bereich seltener als Wiedereinstiegsbereich angeben“

Michaela Evans, Direktorin des Forschungsschwerpunktes Arbeit & Wandel am IAT

Handlungsempfehlungen für die Pflege

Um zur Berufsrückkehr und Stundenerhöhung zu motivieren, müssen die Arbeitsbedingungen der Pflege verbessert werden.

Die Hauptbitte der Befragten war, mehr Pflegepersonal einzustellen. Hierfür sollte als erstes einmal ermittelt werden wie hoch der tatsächliche Pflegebedarf in den Krankenhäusern, sowie der stationären und ambulanten Langzeitpflege ist.

„In der stationären Langzeitpflege muss die ‚Personalbedarfsmessung in vollstationären Pflegeeinrichtungen‘ (PeBeM) vollständig umgesetzt werden und es bedarf eines verbindlichen Zeitplanes dafür.“

Beatrice Zeiger, Geschäftsführerin der Arbeitskammer des Saarlandes

Zudem muss die Forderung einer angemessenen Bezahlung sowie die Tarifbindung in der Pflege angegangen werden.

Die Lösung, dass Pflegeeinrichtungen zukünftig zur Versorgung nur noch zugelassen werden, wenn sie entweder nach Tarif oder zumindest nach dem regionalen Durchschnitt zahlen (= die Orientierung an den regional üblichen Löhnen), ist hier ein Schritt in die richtige Richtung.

Dennoch zeigt sich, dass diese Durchschnittsanwendung den Beschäftigten keine verlässlichen und vertraglich formulierten Lohnstrukturen garantieren kann. Hinzukommt, dass für die Umsetzung dieser und weiterer Verbesserungsvorschläge in der Pflege eine Millionenschwere Finanzierung nötig sein wird.

Fazit

Das Forschungsprojekt liefert wichtige Erkenntnisse, die aufzeigen welche Probleme in der Pflegebranche herrschen und wo Handlungsbedarf nötig ist. Die Politik, Verbände, Sozialpartner und Einrichtungen sollten sich an diesen Befunden orientieren und ihre Bedingungen verbessern und anpassen, um einen Wiedereinstieg sowie die Aufstockung von Arbeitszeiten attraktiver zu gestalten.

„Die Befunde der von uns geförderten Studie zeigen, dass es viele Fachkräfte gibt, die in die Pflege zurückkehren oder ihre Stunden aufstocken würden, wenn bessere Arbeitsbedingungen, insbesondere bessere Personalschlüssel, in Aussicht stehen“ (…) „Es ist also möglich, den Teufelskreis, dass immer weniger Pflegekräfte zu noch weniger Pflegekräften führen, zu durchbrechen.“

Dr. Claudia Bogedan, Geschäftsführerin der Hans-Böckler-Stiftung